Und wieder wurde es Weihnachten. Der Stern machte sich auf den Weg, um den
Menschen zu zeigen, dass es Zeit geworden war. Zeit, sich auf das
Weihnachtsfest vorzubereiten. Er schaute auf die Erde hinunter, und stellte mit
großem Erstaunen fest, dass da gar nichts Friedliches und Fröhliches und
Festliches zu finden war. Sicher – es glitzerte und glänzte in den
Supermärkten, die Häuser blinkten nachts im Schein Tausender Lichterketten und
Leuchtfiguren, in den Kaufhäusern dudelte „Last Christmas“, aber in den
Menschen war es seltsam leer.
Sie sollten doch zur Ruhe kommen. Zeit miteinander verbringen. Einander
Freude machen. Stattdessen: nur Hetzerei, Gezänk und verärgerte Worte.
„Christkind! Kannst du mal schauen, was da los ist, bitte? Hilf mir, wir
müssen die Menschen zur Ruhe bringen.“ rief der Stern. Aber das Christkind
antwortete nicht. Es zog seine Augenbrauen nach, drehte sich vorm Spiegel,
schürzte die Lippen, und – Selfie! „Das poste ich gleich auf Insta.“
Irritiert wandte sich der Stern ab. Wenn das Christkind nicht helfen
wollte, wie sollte es dann Weihnachten werden? Gut, da war ja auch noch der
Weihnachtsmann. Hm, aber wo? Am Nordpol war gähnende Leere. Lange musste der
Stern Ausschau halten, bevor er den alten Mann entdeckte – in einem
Touristenclub auf den Malediven. „Weihnachtsmann, was ist los mit dir?
Weihnachten kommt, du musst zum Nordpol!“ – „Zu kalt.“ brummte der Alte. „Zu
langweilig. Hier steppt der Bär, ich hab All Inclusive gebucht, und kann fünf
Mal am Tag essen, so viel ich will. So gefällt mir das. Und jeden Abend gibt’s
eine tolle Show! Ich hab eine Weihnachts-App gemacht, das muss reichen.“
Kopfschüttelnd zog der Stern weiter. Die Rentiere vielleicht. Die mussten
doch irgendwo sein. Und tatsächlich, da standen sie auch im Kreis. Beim
Näherkommen hörte der Stern sie schon sprechen: „Du frisst noch Gras von der
Weide? Hast du sie noch alle? Wer weiß, womit das gespritzt ist.“ – „Ich
vertrage das ja auch nicht mehr, ich hab eine Pollenunverträglichkeit.“ – „Sind
da auch sicher keine Raupen drin?“ – „Ich fresse nur mehr verblühte Blumen, die
von selbst aufgegeben haben.“ Nein, von dieser Seite war wohl keine Hilfe zu
erwarten.
Die Erzengel? Die wetteiferten neulich im Fitnessstudio, wer sich die
eindrucksvolleren Muckis antrainieren konnte. Die Heiligen Drei Könige führten
sowieso Krieg um ein Stückchen Wüste. Wer konnte da noch helfen?
Sein Blick fiel auf ein kleines Schaf. Es schaute ihn freundlich an, und er
beschloss, dem Schaf sein Leid zu klagen. „Die Menschen sind nicht
weihnachtlich. Und niemand will mir helfen – das Christkind nicht, der
Weihnachtsmann nicht, die Rentiere sind mit ihrer Verdauung beschäftigt, und
auch sonst ist niemand da. Wie soll denn Weihnachten stattfinden?“ jammerte er.
Das Schaf blickte interessiert. Dann blökte es: „Aber das ist doch ganz
einfach.“
„Meinst du, Schaf.“ erwiderte der Stern, „einfach also. Na, du bist
lustig.“
„Ja,“ sagte das Schaf, wackelte mit dem Schwänzchen und meinte: „Man muss
nur wollen.“
Und dann blökte es laut, und viele andere Schafe eilten herbei, und alle
begannen zu wollen, und sie wollten und wollten, und die Wolle fiel als dichter
Schneefall auf die staunenden Menschen, bis sie in ihre Häuser eilten, und sie
fiel weiterhin, bis der Strom ausfiel und die Türen verschlossen waren, und die
Menschen Kerzen anzünden mussten, und dann begannen sie, miteinander zu reden
und zu spielen und zu kuscheln, der Stern funkelte und leuchtete über dem Weiß,
und dann – war Weihnachten.
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